Netzpolitik.org-Autor Markus Beckedahl fragt seine Leser, warum das heutige Expertengespräch zum Thema "Online-Journalismus" des Unterausschuss' Neue Medien im Bundestag nicht-öffentlich ist. Hätte er im Büro von Grietje Staffelt nachgefragt, so hätte er vermutlich erfahren, dass man ein Versehen vermutet, weil darüber nicht abgestimmt wurde. Ist das vielleicht der Unterschied zwischen "Online"- und "Offline"-Journalismus?
Der Unterausschuss will es offenbar herausfinden, denn er hat einige — man darf annehmen politische — Blogger eingeladen, und die bekamen vorab einen Fragenkatalog zugesandt, über dessen komplizierte und auf den ersten Blick tendenziös wirkende Fragen sich der ein oder andere nun mokieren wird.
Wie kommt es zu diesem Eindruck? Haben wir vielleicht zuviele IT-unkundige Juristen im Bundestag?
(Aus Gründen der Lesbarkeit wird im Folgenden nur die "historische" Pluralform mit männlicher Endung verwendet.)
Eine weit verbreitete Ansicht ist ja, dass im Bundestag nur Juristen und Lehrer säßen. Das ist falsch, es sind lediglich die mit Abstand am stärksten vertretenen Berufsgruppen.
Die Juristen sind die größte mit momentan 143 (23,3%) der 614 Abgeordneten. Fast ein Viertel also. Unklar ist, wie Abgeordnete wie Christoph Waitz, die juristisch ausgebildet aber nicht tätig sind, in der Statistik des Bundestages erfasst sind.
Die zweitgrößte Gruppe ist die der Gymnasiallehrer, zwar mit abgeschlagenen 34 Abgeordneten (5,5%), zählt man aber alle Lehrer und Erzieher zusammen, kommt man auf immerhin 81 (13,19%), also etwa ein Achtel. Zusammen mit allen Arten von Pädagogen, Erziehungswissenschaftlern, Sozialarbeitern und (etwas unscharf) Philologen und Germanisten sind es 112 (18,24%).
Alle technischen Berufe kommen nach meiner Zählung auf 7,8% (48), die Abgrenzung ist hier noch schwieriger. (Gezählt: Ingenieure inklusive Wirtschaftsingenieure aber ohne Landespflege, Forstwirtschaft o.ä., Chemiker, Informatiker, Datenverarbeitungsfachleute (?), aber keine Arbeiter oder Handwerker, auch der/die Lokfüher/in nicht.)
Außerdem gibt es noch 5 Mathematiker (0,81%).
Im Unterausschuss Neue Medien sind die Juristen mit einem Drittel noch stärker vertreten (3 von 9), aber es gibt auch Journalisten (2) und eine Pädagogin, einen Kulturwissenschaftler und Jörg Tauss. Letztgenannter ist ein Paradebeispiel dafür, dass es durchaus Überschneidungen gibt, denn er war sowohl als Journalist als auch als Gewerkschaftssekretär tätig, gelernt hat er aber Versicherungskaufmann. Gerüchten zufolge besitzt er eine hohe Kompetenz in IT-Sachfragen.
Bei den Vertretern zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Man muss sich also davor hüten, die Ausschussmitglieder lediglich nach ihrem Beruf einzuschätzen. Dennoch lassen die Formulierungen des Fragenkatalogs teilweise tief blicken. Hier wird Politik gemacht, und das heißt, dass man Blogs als Phänomen betrachtet und auch schon mal Fragen stellt, die technisch betrachtet gar keinen Sinn ergeben.
Sonderbar ist zunächst einmal das "Online" vor dem "Journalismus". "Offline-Journalismus" kenne ich jedenfalls keinen mehr. Vereinsblätter und Schülerzeitungen sind ebenso "online" wie die etablierten Tageszeitungen und die öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsender, Satiremagazine, Test-Hefte und Angelmagazine. Möglicherweise bezieht man sich mit "online" explizit auf die Art der Informationsgewinnung. Doch auch Blogger haben Kundschafter vor Ort, Kontakte in ferne Länder, und zumindest einige schreiben über ihr durchaus reales eigenes Leben. Dem Techniker sei die hochgezogene Augenbraue also gegönnt, denn die Fragesteller scheinen selbst noch Probleme mit der Abgrenzung zu haben. Die sollen nun die befragten Blogger liefern.
Im folgenden nun die ungeprüft von immateriblog.de übernommenen Fragen, mit denen der juristisch geprägte Bundestag das Thema Blogs mit spitzen Fingern anfasst. Den ein oder anderen unaufgeforderten Kommentar kann ich mir nicht verkneifen:
1. Wie lässt sich Online-Journalismus definieren?
In dem man sich überlegt, was Offline-Journalismus ist, und dann das Gegenteil davon nimmt.
2. Wie wird sich der Online-Journalismus – auch hinsichtlich seiner Nutzung – entwickeln?
Veröffentlichungen im Netz sind weder neu noch unüblich, eine bislang unbekannte Tendenz ist wohl kaum zu erwarten.
3. Wie kann man seriösen Online-Journalismus und auch seriöse journalistische Blogs abgrenzen von anderen Formen der Kommunikation im Internet, beispielsweise in Blogs und in Foren?
Genauso wie man es bisher auch gemacht hat: In dem man die Veröffentlichungen kritisch betrachtet.
4. Wie verändern die Blogs die "tradierte" Medienlandschaft?
Sie wird vielfältiger und unabhängiger, aber auch extremer.
5. Was ist der Nährboden für diese Form des "grass-root journalism"?
(Was soll das denn? Keineswegs sind alle Blogs Graswurzelblogs.)
6. Welche Auswirkungen gibt es für den kommunikativ vermittelten öffentlichen Raum und die klassischen Medienangebote, wenn jeder bloggt?
Es wird nicht jeder bloggen. Und wenn doch, wird nicht jeder gelesen.
7. Können möglicherweise insbesondere Redaktionen, gerade im internationalen Bereich, davon profitieren, weil diese Form der Kommunikation eine Basis für eine freiere internationale Kommunikation bietet?
(Die Fragesteller wollen wohl wissen, ob die "traditionellen" Medien durch Blogs Dinge erfahren können, die sonst in Zensur und Kontrolle steckenbleiben würden.)
8. Wie bewerten Sie den gegenwärtig zu beobachtenden Wandel des Journalismus – nicht zuletzt aufgrund der neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten?
9. Wie kann trotz der zunehmenden Beschleunigung im Online-Journalismus Qualität und Verlässlichkeit von Informationen sichergestellt werden? Inwiefern ist dies im "Wettlauf gegen die Zeit" überhaupt noch möglich?
(Schon wieder "Qualität". Das suggeriert eine Qualitätsproblem im Vergleich zu den "tradierten" Medien.)
Recherche braucht Zeit. Die Leser erkennen, dass frühe Veröffentlichungen vorsichtiger zu bewerten sind.
10. Wie kann man die seriöse und fundierte Berichterstattung schützen und möglicherweise als solche kenntlich machen?
(Beta-Sternchen sind jedenfalls kein gutes Zeichen.)
11. Einige Wissenschaftler sprechen von einem erneuten Strukturwandel der Öffentlichkeit. Teilen Sie die Einschätzung und, falls ja, was sind die Merkmale dieses neuen Strukturwandels der Öffentlichkeit?
12. Falls es sich bei diesen Entwicklungen tatsächlich um einen strukturellen Wandel des Journalismus – hin zum Journalismus 2.0 – handelt, welche Folgen hat dieser strukturelle Wandel, insbesondere für den politischen Journalismus?
13. Wie bewerten Sie die These, dass hochwertige Onlineangebote unmöglich sind, solange journalistische Inhalte im Internet kostenfrei zur Verfügung gestellt werden?
(Hier könnte man mal über das private Fernsehprogramm philosophieren.)
14. Welche Auswirkungen hat ein Angebot wie BILDblog auf die redaktionelle Gestaltung der "gedruckten" Version?
(Da hätten sie wohl besser die BILD-Redaktion gefragt.)
15. Sehen Sie politischen und rechtlichen Handlungsbedarf, beispielsweise mit Blick auf die verfassungsrechtlich garantierten Medienfreiheiten, die Zeugnisverweigerungsrechte, die Presseausweise und die Berufsausbildung des grundsätzlich offenen Berufes eines Journalisten oder einer Journalistin?
16. Wie weltumspannend ist das "globale Dorf" – beispielsweise vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in Burma im vergangenen Jahr oder derzeit in China und Tibet – tatsächlich und welche Chancen bieten diese neuen Formen der journalistischen Kommunikation, Einschränkungen der Presse- und Rundfunkfreiheit auszuhebeln?
(Ich wusste nicht, dass das Wort "global" eine Abstufung bezüglich des Grads an "Weltumspannung" zulässt.)
17. Welche Gefahren ergeben sich – vor dem Hintergrund der vielfältigen Einschränkungen der Medien- und Pressefreiheit, welchen sich auch unabhängige Weblogs sowie Mediennutzer und Journalisten gegenüber sehen –, wenn es gelingt, den Zugang zum Internet grundsätzlich zu kontrollieren?
Na, der Journalismus könnte wieder langsam werden.
18. Teilen Sie die Einschätzung, dass derjenige, der den Zugang zum Internet kontrolliert, die Inhalte gar nicht erst überprüfen muss, sondern direkt verhindern kann, dass diese erst entstehen oder wahrgenommen werden?
Das ist eine Frage der Stärke der Einschränkung. Ein durchgeschnittenes Kabel ist natürlich sehr wirkungsvoll. Bei Filtereinrichtungen gibt es immer Umgehungsmöglichkeiten, die aber je nach Ausprägung möglicherweise nur technisch versierten Nutzern zur Verfügung stehen.
19. Was sind aus Ihrer Sicht die möglichen Folgen und politischen Herausforderungen dieser Entwicklungen, beispielsweise mit Blick auf die immer wichtiger werdende Medienkompetenz?
20. Wie lassen sich Identität, Authentizität und Qualität der neuen Journalismusangebote sicherstellen?
(Das ist im Wesentlichen eine andere Formulierung der Fragen 3 und 10.)
21. So genannte Total-Buyout-Verträge für Journalistinnen und Journalisten sind inzwischen bei nahezu allen Zeitungsverlagen an der Tagesordnung. Mit der Unterzeichnung solcher Verträge werden nahezu alle Verwertungsrechte, über die ein Urheber verfügt, an die Verlage abgetreten. Die Digitalisierung bringt es mit sich, dass Artikel nicht mehr nur in der Print-Ausgabe, sondern auch Online oder auf zusätzlichen CDs und DVDs veröffentlicht oder in Datenbanken vorgehalten werden. Wie sieht die Praxis hinsichtlich der Ausschüttung der Vergütungen für die Zweitverwertung durch die Verlage aus? Hat sich die Vergütung für die Urheber durch die Mehrfachnutzung auch erhöht?
Ich bin ja mal sehr gespannt, was bei dem Gespräch so an Meinungen seitens der Politik herauskommt. Der "Online-Journalismus" wird sicher darüber berichten.
Thursday, 19. June 2008
Der Blogger-Fragenkatalog des Bundestags
Thursday, 29. May 2008
Juristen interpretieren die Technik - heute: Staatsanwalt vs. Logfiles
Ein technischer Direktor (CTO) eines größeren Internetdienstanbieters plaudert aus dem Nähkästchen:
Quelle: http://www.spreeblick.com/2007/04/27/sag-mal-bka/#comment-411022
Spreeblick hat dann mal nachgehakt, das entstandene Interview mit dem anonymen CTO ist hier zu lesen: Spreeblick: Ertrunken in der Datenflut - “Man kann mit solchen Maßnahmen nichts verhindern”. Darin geht es munter weiter:
Hat irgendjemand Grund, an dieser Darstellung zu zweifeln? Und: Ist es gut oder schlecht, wenn die Planlosen einen schlechten Plan haben, oder die mit dem schlechten Plan planlos sind, oder hat die Planlosigkeit schlechte Pläne verhindert? Würden "SIE" etwas planen, wenn sie einen Plan hätten? Wenn ich einen Plan male, findet ein Strafverfolger dann seinen Weg, oder ist das Planwirtschaft?
Einmal hatte ich so einen richtig scharfen Hund von Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft, der sagte, ich solle mit dem Hinhaltekram aufhören und ob ich wisse, welche Folgen es für unsere Firma haben könnte, wenn ich trotz richterlicher Anweisung nicht kooperiere. (Das passiert selten, die meisten Polizisten/Richter etc. sind durchaus nachdenklich und wissen, dass sie keine Ahnung vom Thema haben.) Ich solle nun bitte die verlangten Daten durchfaxen und ihm die Ausflüchte und „ja aber“ ersparen, es entstünde der Eindruck, ich wolle Kriminelle decken.
Gut.
Habe ich dann gemacht.
Nach ca. 150 Faxseiten rief er an und fragte, wieviel noch kommen. Musste ich ihm antworten: Noch etwa 420.000 Seiten (...).
Bei Seite 200 ist sein Fax nicht mehr rangegangen. Ich habe als pflichtbewusster Bürger natürlich noch vier Tage lang versucht, die Sachen durchzufaxen (...).
Quelle: http://www.spreeblick.com/2007/04/27/sag-mal-bka/#comment-411022
Spreeblick hat dann mal nachgehakt, das entstandene Interview mit dem anonymen CTO ist hier zu lesen: Spreeblick: Ertrunken in der Datenflut - “Man kann mit solchen Maßnahmen nichts verhindern”. Darin geht es munter weiter:
Viele Polizisten verstehen zum Beispiel nicht, dass man gar nicht sicher sagen kann, wie lange sich jemand eine Webseite angesehen hat, dass die Tatsache, dass ein Mailserver ein Mail empfangen hat, noch nicht heißt, dass sie jemandem zugestellt wurde oder dass sie jemand gelesen hat (um nur mal 2 häufige Probleme zu nennen), vielfach wird nicht einmal erfasst, wer überhaupt zu fragen ist.
(...)
Wir hatten auch schon Fälle, wo Leute bei uns im Büro standen und mal eine Festplatte eines Kundenrechners beschlagnahmen wollten, nur um dann festzustellen, dass es bei einem Shared Webhosting „die Festplatte des Kunden“ nicht gibt, sondern die Daten überall verstreut rumliegen, die Datenspeicherinstallation außerdem irgendwo ganz anders in Deutschland steht UND man einen Lastwagen brauchen würde, um das Ganze zu transportieren.
(...)
Es gibt bei keiner mir bekannten Polizeistelle Rechner, die in der Lage wären, ein 4 GB Logfile einzulesen und nach Einträgen zu durchsuchen, oder Software, die Apache-Logfiles auswerten kann oder Sniffer, die IP-Mitschnitte interpretieren und aufbereiten könnten.
Hat irgendjemand Grund, an dieser Darstellung zu zweifeln? Und: Ist es gut oder schlecht, wenn die Planlosen einen schlechten Plan haben, oder die mit dem schlechten Plan planlos sind, oder hat die Planlosigkeit schlechte Pläne verhindert? Würden "SIE" etwas planen, wenn sie einen Plan hätten? Wenn ich einen Plan male, findet ein Strafverfolger dann seinen Weg, oder ist das Planwirtschaft?
Friday, 16. May 2008
Juristen interpretieren die Technik - heute: DHCP, SSID, IP-Adresse
Als hätte ich es geahnt, als ich über das Kommunikationsproblem zwischen Technikern und Juristen schrieb: Gericht erklärt Nutzung eines privaten, offenen WLAN zur Straftat (heise).
Seltsam, denn eigentlich ist die Sache schon vor Jahren ausführlichst von Juristen behandelt worden. Ein Artikel bei hrr-strafrecht.de von 2004 erklärt, warum die Nutzung eines offenen WLANs eben nicht strafbar sein soll.
Wenn man der heise-Meldung glauben darf, stellt das Gericht technische Fakten auf den Kopf:
Da liegt das Gericht falsch. "Juristen interpretieren die Technik - heute: ... »
Seltsam, denn eigentlich ist die Sache schon vor Jahren ausführlichst von Juristen behandelt worden. Ein Artikel bei hrr-strafrecht.de von 2004 erklärt, warum die Nutzung eines offenen WLANs eben nicht strafbar sein soll.
Wenn man der heise-Meldung glauben darf, stellt das Gericht technische Fakten auf den Kopf:
Der Begriff "Nachrichten" umfasse auch die Zuweisung einer IP-Adresse durch den Router. Diese nicht für ihn bestimmte Nachricht habe der Angeklagte "abgehört", in dem er auf die zugesandte IP-Adresse zugegriffen (...) habe. Denn die IP-Adresse sei gerade nicht für den Angeklagten bestimmt gewesen. Vielmehr werde die Festlegung, wer zur Verwendung der IP-Adresse berechtigt ist, allein vom Eigentümer des WLAN-Routers und nicht dem Gerät selbst getroffen.
Da liegt das Gericht falsch. "Juristen interpretieren die Technik - heute: ... »
Wednesday, 14. May 2008
Juristen vs. Techniker: ein Gedankenexperiment
Juristen haben bei Technikern einen schlechten Ruf. Nicht immer zu Recht, denn oft können Juristen Klarheit schaffen, wenn Techniker über die Wirren des Gesetzes ins Grübeln geraten — doch insbesondere andersherum ist Hilfe notwendig. Und obwohl dieser Dialog durchaus fruchtbar sein kann, kommt er selten zustande. Woran das liegt, möchte ich mit einem Gedankenexperiment zu ergründen versuchen:
"Juristen vs. Techniker: ein ... »
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