Der Fall Bodo Thiesen hat für Aufsehen gesorgt. Da wird einer, der sich inakzeptabel über Juden, den Holocaust und revisionistische Literatur geäußert hat (und der mittlerweile auch nach der dritten Stellungnahme offenbar noch Polen die Schuld am zweiten Weltkrieg geben will) in ein Parteiamt gewählt, nachdem er, öffentlich auf den Sachverhalt angesprochen, patzig reagiert hat. Die Anwesenden mussten nach der Reaktion den Eindruck haben, es handele sich um eine alberne Verleumdungskampagne. Sie hatten nicht die Zeit zu recherchieren, und vom alten Vorstand wurden sie auch nicht richtig informiert. Dirk Hillbrecht erklärt hier wie es zu diesen Fehlern kam.
Bodos Reaktion kann man interpretieren. Er sei ein fehlgeleiteter Querulant sagen die einen. Die anderen sehen den braunen Wolf, der sich in die Partei der Schafe einschleicht.
Die Reaktion im Netz war natürlich großartig. Meinungen, Analysen und Recherchen überschlugen sich, es wurde gezankt, abgewiegelt und kommentiert. Ich will da gar nicht mitmachen, denn ich will eigentlich nicht politisch bloggen.
Aber mir sind zwei Phänomene aufgefallen...
Donnerstag, 9. Juli 2009
Wirklichkeitsblasen und Meinungsfreiheit - Gedanken zum Fall Bodo
1. die Blase der eigenen Wirklichkeit
Nehmen wir Chris, den Nörgelblogger von FIXMBR. Er kam schnell zu einem einfachen Ergebnis:
Wer will diese Partei noch ernsthaft wählen? Ich hoffe, niemand.
Niveaulos und aggressiv waren viele Reaktionen darauf angeblich. Der Witz ist: Genau das war eigentlich zu erwarten. FIXMBR sind oft die ersten, die sich zu Wort melden, also bekommen sie auch den ersten Sturm der Entrüstung ab. Ich empfinde die Beiträge zudem als qualitativ eher minderwertig — man produziert viel Meinung mit wenig Inhalt. Dieser Schreibstil zieht auch eine gewisse Leser- und damit Kommentatorenschaft an. Und so kommt es, dass aus Sicht der Betreiber ein schreckliches Bild von den Piraten oder Sympathisanten bestätigt wird.
Daran sieht man: Jeder lebt in seiner eigenen Blase und hat sein eigenes Bild von der Wirklichkeit. Dieses Bild kann sich durch selektive Wahrnehmung bestätigen, im Netz offenbar aber auch dadurch, dass man vor allem mit der passenden "Wolke" interagiert.
2. Grenzen der Meinungsfreiheit als Begründungsendpunkt
Natürlich wurden auch wieder alle möglichen Diskussionspunkte durcheinandergewirbelt. Manche kennen Bodo persönlich, andere sorgten sich um die Außenwirkung der Partei, weitere kritisierten das frühere Vorgehen. Während der eine meinte, Bodo müsse sofort über die Planke geschickt werden, riet der andere zu Besonnenheit, damit sich der Bundesvorstand nicht unglaubwürdig mache. Man fing an, sich über rechte Rhetorik zu unterhalten. Wiederum andere waren der Meinung, dass der Boden für derlei Unfug in der Piratenpartei allzu fruchtbar sei. Auf jeden Fall: Alles durcheinander.
Aber immer wieder trat ein Aspekt hervor: (Stimme aus den Wolken:) Die Meinungsfreiheit. (Fanfaren!)
Auch hier sind die Sichtweisen grundverschieden: Dirk Hillbrecht schreibt zum Beispiel, Bodo dürfe privat sagen, was er wolle, aber nicht, wenn er ein Parteiamt bekleidet, und spricht von Moral. Man könnte fragen: Ist für Bodo und Bodos
Andere meinen hingegen, die Partei mache sich unglaubwürdig, wenn sie nicht auch die Meinungsfreiheit von tatsächlichen oder vermeintlichen Holocaustleugnern behüte, Bodo dürfe sagen, was er wolle, alles andere sei Zensur. Begründungsendpunkt.
Das ist natürlich ziemlicher Unfug, und einige Leute mit etwas mehr Grips, haben das auch gemerkt. Das Problem: Auch denen fehlt die nötige Distanz.
Die Grüne Julia Seeliger, der man gerne unterstellt, sie würde gegen die Piratenpartei wettern, schreibt in ihrem Blogeintrag Meinungsfreiheit? Schwachfug!:
Falsch verstandener Meinungsfreiheit begegnet man im Netz immer wieder: Dabei wird stets auf Artikel 5 des Grundgesetzes verwiesen. Thilo Baum erklärt, wie Artikel 5 im Genaueren - insbesondere in Bezug auf Holocaustleugnung - zu interpretieren ist.
Das Recht, seine Meinung frei zu äußern, gilt in Deutschland unangefochten. Es endet nur dann, wenn eine Meinungsäußerung Rechte anderer (oder eben andere, höhere Rechtsgüter) verletzt. Verboten ist die Holocaustleugnung ja gerade deshalb, weil sie keine Meinung transportiert, sondern eine falsche Tatsache verbreitet: Die ständige Wiederholung falscher Tatsachen verdreht die Realität, und die Leute halten ständig wiederholte Lügen mit der Zeit für wahr, was totalitäre Systeme ja gerne nutzen. Und nach den Erfahrungen von 1933 bis 1945 ist es hierzulande eben verboten, weiterhin im Stile der Nationalsozialisten Propaganda zu machen.
Die Abgrenzung von Meinungen zu den so genannten Tatsachenbehauptungen ist in diesem Falle von Bedeutung. Tatsachenbehauptungen kann man verifizieren, Meinungen nicht. Auch der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat sich (Kontext ist eine Versammlung, bei der “Auschwitzlügen” zu erwarten waren) mit der Abgrenzung von Meinungsäußerungen von Tatsachenbehauptungen befasst. Sogar unwahre Tatsachenbehauptungen können geschützt sein, dieser Schutz hat aber Grenzen.
Infolgedessen endet der Schutz von Tatsachenbehauptungen erst dort, wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können. Unter diesem Gesichtspunkt ist unrichtige Information kein schützenswertes Gut. Das Bundesverfassungsgericht geht deswegen in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß die bewußt oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung nicht vom Schutz der Meinungsfreiheit umfaßt wird
Im Klartext: Die Auschwitzlüge ist nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Und falls es jemand noch nicht mitbekommen hat: Holocaustleugnung ist in Deutschland und in anderen Ländern der Welt strafbar. Und auch in den immer wieder als Beispiel angeführten USA wird seit Jahren darüber diskutiert Holocaustleugnung unter Strafe zu stellen.
Hübsch recherchiert aber irgendwie... — falsch interpretiert?! Wieder so ein Begründungsendpunkt. Ach, Zeitrafferin, wenn es doch nur so einfach wäre mit der Grenze der Meinungsfreiheit. Man kann nicht pauschal allen, die diese Grenze nicht sehen wollen oder können, vorwerfen, sie hätten garnichts verstanden.
Erstmal: Ich halte es für besser, von Redefreiheit zu sprechen, denn es geht ja darum, was man sagt, nicht was man meint oder glaubt. Dadurch wird einiges klarer.
Weiter: "Unwahre Tatsachenbehauptungen" sind ebenfalls Meinungsäußerungen, oder "Reden". Die Behauptung, die beiden seien grundverschieden, lässt sich mit dem Zitat nicht stützen. Du schreibst ja selbst: "Sogar unwahre Tatsachenbehauptungen können geschützt sein, dieser Schutz hat aber Grenzen." Und so ist es: Wenn jemand aus Unwissenheit oder Überzeugung etwas widerlegtes behauptet, dann bleibt das seine Meinung, nur eben laut Bundesverfassungsgericht manchmal(!) keine geschützte.
Was als ausreichend belegte Wahrheit festgelegt wird und was verboten, das ist immer auch eine Frage des politischen und gesellschaftlichen Kontexts. Die Grenzen für Einschränkungen müssen sehr eng sein, damit eine staatliches Meinungsdiktat ausgeschlossen bleibt. Im Falle des Holocausts ist das relativ einfach, da die wissenschaftlichen Erkenntnisse unvergleichbar gefestigt sind. Die Deutschen Gerichte stehen auch nicht gerade im Verdacht, umfassende Meinungsunterdrückung zu betreiben.
Aber entscheidend ist, dass das Verbot der Volksverhetzung dem Schutz eines anderen Grundrechts, nämlich der Menschenwürde, dient. Die Opfer und ihre Nachkommen sollen nicht durch Revisionisten verhöhnt oder verächtlich gemacht werden. Zum Vergleich: Dass die Erde eine Scheibe sei, darf ich völlig ungestraft behaupten, denn das tut ja niemandem weh. (Na ja.) Auch das ist eine unwahre Tatsachenbehauptung, und eben auch eine Meinung.
Sieht man sich ein wenig in der Welt um, dann findet man durchaus verschiedene Ergebnisse der Rechtsgüterabwägung:
• In den USA darf jeder sagen, was er will, das garantiert der erste Verfassungszusatz. (Außer natürlich, es ist "obszön" bzw. "pornographisch". Beep!)
• In Deutschland stellt §130 StGB volksverhetzende Äußerungen unter Strafe.
Mal abgesehen davon, dass verschiedene demokratische und freiheitsliebende Länder hier verschiedene oberste Grundsätze haben — und beide noch nicht untergegangen sind — kann man natürlich auch die Abwägung anders machen und diskutieren.
Du schreibst: "Und auch in den immer wieder als Beispiel angeführten USA wird seit Jahren darüber diskutiert Holocaustleugnung unter Strafe zu stellen." Ja nun, das ist ja gerade ein Zeichen dafür, dass man da völlig unterschiedlicher Ansicht sein darf und diskutieren muss, und überhaupt kein Hinweis darauf, dass unser Modell das bessere wäre. Ich könnte ja auch sagen, das sbei uns immer wieder die Abschaffung von §130 StGB diskutiert wird, wäre das ein Argument?
Und überhaupt, Julia: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen? Die Bürgerrechtler in den USA werden jedem Präsidenten den Marsch blasen, der am First Amendment rüttelt. Genau wie man bei uns nicht an Artikel 1 GG rütteln wird.
Schauen wir mal weiter: In der Türkei findet sich ein anderes Beispiel für die Einschränkung der freien Rede, nämlich Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuchs, der wie das genaue Gegenteil von §130 StGB aussieht. Wer sich zum Völkermord an den Armeniern äußert, kann in der Türkei ernsthafte Probleme wegen "Beleidigung der türkischen Nation" (bis 2008 sogar "Herabwürdigung des Türkentums") bekommen. Trotz des himmelweiten Unterschieds werde ich den Verdacht nicht los, dass auch in der Türkei ein gewisses Verständnis von Würde oder Ehre eine Rolle spielt. (Nur leider nicht die der Opfer.)
Stellen wir uns vor, in der Türkei würde mit diesem Artikel argumentiert. Man würde sagen, dass die
Für uns gilt erstmal das deutsche Recht, keine Frage. Aber wenn nun Gutmenschen anfangen, unsere Sicht als "sowieso total logisch" darzustellen, dann wird es gefährlich. Wenn ein Staat entscheidet, was gesagt werden darf, und was nicht, dann ist das im Grundsatz immer kritisch zu sehen. Auch wenn Verfassungsrichter das geprüft haben.
Nimmt uns §130 StGB nicht auch die Chance, oder die Pflicht, uns mit Revisionisten und Antisemiten auseinanderzusetzen, sie argumentativ zu widerlegen, wenn sie aus ihren Löcher kommen? Meiner Erfahrung nach fehlen vielen im Umgang mit Nazis gerade deshalb die Argumente. Aber die soziologische Wirklichkeit, dass nicht jeder die Täuschungen der Hassprediger erkennen kann, ist auch nicht von der Hand zu weisen.
Wie dem auch sei: Wenn hierzulande Anhänger der Piratenpartei der Meinung sind, Bodo solle nicht aus der Partei geworfen werden, dann haben sie nicht automatisch deshalb unrecht, weil sie
Nochmal: Völlig unkritischen Denken über Regelungen, bei denen der Staat eine Meinungshoheit durchsetzt, ist unangebracht, auch wenn es gerade opportun ist. Multiplikatoren wie Du haben hier eine besondere Verantwortung, denn dieses Denken kann sich auf andere Länder und Sitten übertragen und am Ende ganz von der Frage, was da eigentlich geschützt wird, lösen. Warum kritisieren wir gleich nochmal China?
Und das Abstraktionsvermögen, die hiesigen Verhältnisse als nationale Ausprägung zu sehen, mit der nicht jeder auch exakt einverstanden sein muss, ist auch deshalb wichtig, weil wir uns immer mehr mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie wir mit Nazis im Netz umgehen. Diese entziehen sich dem Wirkungsbereich unserer Gesetze de facto, in dem sie in die USA beziehungsweise "ins Internet" ausweichen.
Womit wir wieder beim Zensurthema wären. (Und hier ist auch schon die passende heise-Meldung dazu.)
Noch eine Anmerkung zur Partei
Die Laviererei des Bundesvorstandes, die halbherzige Erklärung wirft kein gutes Licht auf die mit Kanonendonner laut in See stechenden Demokratieverteidiger. Sie befinden sich nämlich dann ganz schnell dort, wo sie niemals sein wollen - jenseits der Grenzen von Rechtsstaat und Demokratie.
Nö, Julia, diese Gefahr sehe ich nicht. Die Diskussion, die auf den noch recht basisdemokratischen Piratenschiffen ausgebrochen ist, scheint diese zu stärken. Vor allem ist sie transparent und für jeden einsehbar. Andere Parteien spielen hinter verschlossenen Türen mit der Macht, die Piraten jonglieren öffentlich mit ihren Argumenten. Und sie sind im Gegensatz zu den Hysterikern, die Nazis nichts entgegenzusetzen haben als Verbotsforderungen, Rockkonzerte und Lichterketten, vor allem wachsam und besonnen.
Allerdings könnte es sein, dass sie ihrem Vorstand in den Hintern treten, wenn der weiterhin Weichspüler in seine Statements gießt. Ach, ich wollte nicht politisch werden...
Links zur Causa Bodo
Malte Welding kritisiert das Statement des Bundesvorstands: Pirat über Bord.
Der Spiegelfechter hat dass Dilemma am besten erfasst: Piraten in schwerer See.
Äußerungen von Bodo Thiesen: 1, 2, 3.
Bodos erste Stellungnahme: Stellungnahme persönliche Meinung vs. Parteimeinung
(Auch) Bodos zweite Stellungnahme: Stellungnahme zu Geschichte und Verantwortung
Bodos dritte Stellungnahme: Distanzierung
Reaktion des Bundesvorstands der Piratenpartei.
Artikel in der Zeit, dem Focus und dem Tagesspiegel.
Trackbacks
datenritter blog am : Bodogate und Redefreiheit, Holocaustleugner und Nörgler
Vor ein paar Tagen hatte ich zwei Beobachtungen zu "Bodogate" beschrieben, den weitaus größeren Teil auch als Reaktion auf einen Artikel von Julia Seeliger. "Bodogate" diente dabei eigentlich nur als Aufhänger. Bodos Äußerungen sind natürlich ein Problem,
ich glaube Du hast da einen wesentlichen Fehler gemacht, aber nicht nur Du:
Du nimmst die Debatte um Bodo zum Anlass eine Grundsatzdebatte um Tabus und Redefreiheit zu führen. Das führt allerdings weg vom konkreten Fall. Zudem versäumst Du es, zu der relativen Singularität des Holocaust in der deutschen Geschichte einzugehen. Es geht hier nicht um Redefreiheit oder Tabus im allgemeinen.
Es geht darum das ein Pirat sich dem Vorwurf stellen muss den Holocaust geleugnet zu haben. Alle Argumentationen sollten sich um diesen konkrete Fall drehen! Ich finde es unwürdig das Beispiel Holocaust zu benutzen eine allgemeine Diskussion auf einer Metaebene zu führen. Das kann man von mir aus nach dem Fall machen, losgelöst von dem Fall, aber nicht im selben Kontext. Denn dann wirkt es wie eine Verteidigung für Bodo, auch wenn das nicht Deine Absicht ist, wie ich Dir wo ich Dich meine ausreichend zu kennen, zuschreiben will.
Es ist deswegen unwürdig, weil die Debatte auf die Art das Leiden der Opfer nicht würdigt und diese zum Spielball einer Metadiskussion macht.
Ich bin sehr dafür Regeln danach auszurichten was vernünftig und wirksam ist. Und sollten manche Verbote kontraproduktiv sein, sollte man sie ändern. Aber das ist IMHO NICHT Gegenstand der Diskussion.
Mein *Aufhänger* ist der Fall Bodo, ja, weil man an der unsäglichen Debatte eben diese beiden Phänomene feststellen kann.
Ob das jetzt oder in zehn Jahren geschickter ist, sei mal dahingestellt. Ich wollte meine persönliche Meinung darüber, dass bei uns die Menschenwürde höher bewertet wird und in den USA die Redefreiheit bewusst außen vor lassen.
Was mich stört, sind die Gutmenschen, die diese Dinge nicht sehen und dadurch letztendlich moralistisch argumentieren. Sie erkennen nicht, wo Recht und Gesetz herkommen. Und Julia ist ein bisschen auf dem Weg dorthin, auch wenn das vermutlich gar nicht ihre Absicht war. Ihr Artikel wird aber bei vielen eine Sichtweise manifestieren, die zu einem seltsamen Begründungsendpunkt führt.
Gerade diese Tendenz zum Moralismus ist angreifbar durch Revisionisten und Hassrhetoriker, über dessen Äußerungen ich genauso empört bin wie Du.
Würde ich hier wirklich über Bodo sprechen, dann hätte ich seine Rhetorik zerlegt wie in dem eingangs verlinkten Blog. Aber wäre nicht auch das "unwürdig": über rechte Rhetorik zu sprechen "in diesem Kontext"?
Gibt es nicht immer einen solchen Kontext?
Dass das Leid der Opfer hier Spielball sein soll, sehe ich nicht und ist auch nicht beabsichtigt. Dann müsste man ja jede Diskussion über §130 StGB verbieten, auch unter Juristen.
ich schreibe hierzu, weil die Diskussion um Bodo mich seit langer Zeit davon abgehält, der Partei beizutreten und sie aktiv zu unterstützen.
Du sagst selbst:
"Nimmt uns §130 StGB nicht auch die Chance, oder die Pflicht, uns mit Revisionisten und Antisemiten auseinanderzusetzen, sie argumentativ zu widerlegen, wenn sie aus ihren Löcher kommen? Meiner Erfahrung nach fehlen vielen im Umgang mit Nazis gerade deshalb die Argumente."
Nein, die Argumente fehlen vor allen Dingen, weil es nicht um Argumente geht: In der rechten Szene hat sich einfach ein stark verklausuliertes Gedankengebäude zum Standard etabliert, das in sich stimmig ist und in das schwer einzubrechen ist. Jeder, der dagegen ist, argumentiert also mit einem fanatisch Gläubigen - was fast von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.
Du sagst weiter: "Aber die soziologische Wirklichkeit, dass nicht jeder die Täuschungen der Hassprediger erkennen kann, ist auch nicht von der Hand zu weisen."
Und hier liegt eigentlich die Gefahr, gerade für die Piratenpartei: Bestimmte Themen und Ansichten der Rechten schaffen es nach und nach in den Mainstream. Ein Beispiel ist die Verwendung des Begriffes "Gutmensch" - eine Wortschöpfung, die ab 1930 bevorzugt von den Nazis verwendet wurde.
Für mich bedeutet es in der Konsequenz, dass man als Gegner von Holocaustleugnung in der Piratenpartei heftigen Gegenwind erfährt von Leuten, die wahrscheinlich nicht ernsthaft dagegen sind. Durch diese fruchtlosen Diskussionen mit Verteidungscharakter für die Rechten macht sich aber eine Stimmung in der Piratenpartei breit, die eher mehr rechtes Gedankengut und mehr konservative/rechte Mitglieder fördert. Für mich ist das derart irritierend, dass ich von einem Befürworter gerade umschwenke zu einem Warner vor dieser Partei. Sie wird hoffentlich in dieser Legislaturperiode keine Rolle spielen.
Dass es nicht um Argumente ginge, bestreite ich. Den Nazis werden sogar aus Dummheit bestimmte Themenfelder überlassen, die sie dann besetzen können. Es steht außer Frage, dass der ideologische Unterbau ein anderer ist. Ich würde nicht davon ausgehen, dass das jeder erkennt, und das wäre ja auch schlimm: Man müsste nur noch pauschal eine Organisation als Nazi brandmarken und schon wäre sie erledigt. Viel zu gefährlich.
Das Wort Gutmensch wurde von den Nazis erfunden? Das wäre mir neu, siehe Wikipedia. Und wenn es so wäre, würde ich ihnen das Wort nicht überlassen wollen. Begriffstigmatisierungen sind keine gute Sache, und wenn wir uns nach der NS-Zeit richten, dann müssen wir englisch sprechen, denn diese Zeit hat so manches Wort geprägt. "Gutmensch" erweckt meiner Erfahrung nach eigentlich bei niemandem Assoziationen mit dem rechten Umfeld - ähnlich wie "Blitzkrieg". Da kommt es sehr auf den Kontext an.
Was Du über die Piratenpartei schreibst halte ich für haltlos. Der seltsame Eindruck, sie wäre offen für Extremisten, kommt wohl daher, dass die Partei so offen - also für alle sichtbar - diskutiert. Mit dieser Informationsfülle können viele nicht umgehen. Hättest Du lieber eine Dreibuchstabenpartei, die schnell mal was unter den Teppich kehrt oder einfach aussitzt?
Verdammt, eigentlich sollte dies kein politisches Blog sein...