Deswegen könnte man das ganze ja mal ein wenig
sachlicher betrachten. Die Argumente sind da, und sie sind eingängig. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, weil es schonmal gar kein
Raum ist. Es ist ein Kommunikationsmedium, nichts weiter. Dennoch erschafft es natürlich neues, sogar ganz fantastisches. Und es zerstört althergebrachtes. Es ist Teil der Informationstechnologie, die definitiv der vierte Sektor der Wirtschaft ist, mit ganz eigenen Regeln. Und die ist
ubiquitär. Das
fühlt die
Generation C64 irgendwie. Manch einer hat wie Kristian auch begriffen, dass die ganze Digitaltechnik nur für die verlustfreie Übertragung von Daten entwickelt und durchgesetzt wurde — also zum
Kopieren, dass das eben ihr
Wesen ist.
Doch dass das Rupert Scholz, der nicht nur
Jurist, sondern auch Volkswirtschaftler ist, dennoch nicht selbstverständlich vorkommt, muss man respektieren. Man kann handfeste Argumente nicht einfach mit einem
Generationenkonflikt wegwischen, oder indem man die
anderen als "alte Männer mit Kugelschreibern" diskreditiert.
Unter uns
Digital Natives sind leider viele, die die Welt, mit der sie aufgewachsen sind, eben nur deshalb verstehen, weil sie keine andere kennen. Für die Tauschbörsen irgendwie sein müssen, wie für manch anderen die BLÖD-Zeitung. Weil es "eben so ist".
Wer wie Kris über eine offenkundig hohe Intelligenz verfügt, der sollte sie nutzen, um auf die Argumente des Gegenübers
einzugehen, oder besser gleich eine eigene Argumentationslinie aufbauen.
In seiner Kritik an Dirks Gegenspieler hätte er einiges sagen können. Er hätte zum Beispiel erklären können, dass
Patente als Wettbewerbsbehinderungsinstrument gedacht sind, dass der "Schutz des kleinen Erfinders" ein
moralistisches Märchen ist, dass man sie für jeden Bereich der Wirtschaft einzeln anpassen muss. Dass
Softwarepatente nichts taugen, weil wir es mit zu stark vernetzter Entwicklung zu tun haben. Dass
Urheberrecht und Patentrecht völlig verschiedene Konzepte sind, und korrekt unter dem Begriff
"immaterielle Schutzrechte" zusammengefasst werden müssen, nicht als
"geistiges Eigentum", einem auch unter Juristen eher umstrittenen Propagandabegriff.
Er hätte den
Unterschied zwischen Urheber- und Verwertungsrechten ansprechen können und sagen, dass wir keine mächtigen Rechteverwerter und
keine (dummen) Konsumenten mehr brauchen haben werden, sondern wieder (leidenschaftliche) Fans, um deren Gunst die Künstler direkt buhlen müssen. Dass letztere mit Konzerten verdienen, die Rechteverwerter aber mit einem sterbenden Geschäftsmodell. Er hätte sagen können, dass Herr Scholz
zu juristisch denkt argumentiert, nicht volkswirtschaftlich und kulturell. Er hätte den Joker ziehen können und sagen: "Der Buchdruck hat die
Kopisten arbeitslos gemacht — was, wenn die Kirche den Buchdruck verhindert hätte?".
Das alles statt emotional aufgeladenen Erzählungen über die eigene Verbundenheit mit dem Netz — vielleicht würden dann sogar die "alten Männer" verstehen.
Spät, viel zu spät, bringt Kris das eingangs schon genannte Argument, das einzige in seinem Beitrag:
Hier ist die Wahl. Sie ist die einzige Wahl. Sie ist digital, wie das Medium, das die Wahl erzwingt:
1. Kopieren hinnehmen.
2. jede Kommunikation von Jedermann mit jedem anderen immer auf ihre Legalität hin untersuchen und filtern.
Wenn Fall 2 nicht stattfindet, bildet sich sofort ein Overlay-Netzwerk und Fall 1 tritt ein.
Knackig. Sogar poetisch. Doch auch das könnte man so auszuführen,
dass es auch ein Kugelschreiber versteht.
Dass man
1987 in einer norddeutschen Mailbox war überzeugt hingegen erstmal
niemanden.
(Außer natürlich, man hatte einen C64. Na ja, anderes Thema...)
Und das ist auch völlig in Ordnung so, denn es ist einfach kein Argument. Emotionale Beiträge können kurzfristig die eigenen Nerd-Freunde mobilisieren. Aber sie tragen nicht, sondern geben den digitalen
Immigranten Invasoren Angriffsfläche in Form des Bilds vom "selbsternannten Experten", der sich nicht um Rechte Dritter schert, der die "Kostenlosmentalität" des Netzes "nie in Frage gestellt hat".
Eigentor.
Wir müssen aber die Argumente nennen. So kurz und prägnant wie möglich.
Die Leute, die wir überzeugen müssen, leben hier und heute, sie sind die Realität. Ich sag's nochmal: Auf unserem Planeten und in unserem Jahrtausend.
Einerseits empfinde ich den aktuellen Kulturkonflikt wie Kris, andererseits hast du völlig Recht, dass wir langfristig nur mit sachlichen Argumenten ans Ziel kommen.
Danke,
Jochen